space and the city Ulrich Meyer-Husmann, Juni 2016
Zur Ausstellung von Cordula Prieser im Bellevue-Saal
Die in Wiesbaden entstandenen Arbeiten stellen im Werk von Cordula Prieser eine Zäsur dar. Vereinfacht könnte man sagen, die Plastiken der letzten Jahre waren stärker linear bestimmt, demgegenüber transformieren die neuen Werke Wiesbadener Stadtelemente in kompaktere Formen. Dabei zeigt sich in allen Arbeiten, dass die ursprünglich als Steinbildhauerin ausgebildete Künstlerin klare Formen bevorzugt und die gewollten Formen mit großem handwerklichem Können exakt umsetzt.
Raum ist der Schlüsselbegriff ihrer Arbeiten. Plastik und Raum hängen zusammen. Als Volumen nimmt Plastik Raum ein, grenzt sich von der Umgebung ab und tritt gleichzeitig zu dem umgebenden Raum sowie zum Körperempfinden des Betrachters in Beziehung.
Überträgt man das auf die kleinen an der Wand hängenden Drahtobjekte des letzten Jahres, die an frühere Arbeiten anknüpfen, muss das Gesagte weiter differenziert werden. Denn die ganz linear aufgefassten kleinen Plastiken besitzen im engeren Sinne gar kein Volumen. Sie bestehen aus dünnem, lackiertem Draht, aus meist gebogenen Linien, deren Verbindungen als Verdickung stehen geblieben sind, weil ein Draht um den anderen gewickelt worden ist, sodass sich ein Ineinander aus dünneren und dickeren Linien ergibt. Einerseits stellt sich so ein Wechselspiel graphischer Strukturen ein, eine Art von Zeichnung im Raum, andererseits bedeutet der Draht als Linie Grenze und umschreibt als solche eine Fläche, die nur in ihren Begrenzungen existiert. Das gilt auch für das Volumen. Insofern wird die Fläche beides, Begrenzung und Durchlass. Zwischen innen und außen gibt es nur eine imaginäre Trennung. Durchlässigkeit des Raumes wird so gängiges Prinzip dieser Werkgruppe, zu der auch das in Wiesbaden entstandene Aluminiumobjekt gehört.
Als Cordula Prieser Ende letzten Jahres zum ersten Mal nach Wiesbaden kam, war sie überrascht über den umfangreichen Bestand an historistischer Architektur im engeren Stadtbereich. Der Titel zu ihrem Vorhaben in Wiesbaden lag da bereits fest: Space and the City.
Raum in der Stadt kann vieles bedeuten, vom kleinen Hinterhof bis zum großen Platz, kann aber auch Stadtraum umfassen mit all dem, was urbane Qualität von Städten ausmachen kann. Die Orte, die Cordula Prieser für sich entdeckte, haben mit dem gründerzeitlichen Erscheinungsbild Wiesbadens nichts zu tun, es sind eher unscheinbare Orte, gleichsam Un-Orte. Ein betonverkleidetes, an einer Seite gerundetes Treppenhaus mit zeittypischen Verschalungsspuren im Hinterhof der dem Abriss geweihten City-Passage. Cordula Prieser verwandelt das massige Bauteil in ein fast poppiges Wandbild aus senkrechten roten, weißen und grauen Streifen, die anstelle der vorkragenden Betonlisenen starke räumliche Wirkung erzielen. Zudem zwängt sie das große Wandbild spiegelverkehrt zum realen Bestand in die vordere Ecke des Bellevue-Saals.
Im Raum antwortet – farblich gesehen – der große dreiteilige Paravent am Ende des Bellevue-Saals, dessen senkrechte Holzstäbe mit den Streifen innerhalb des Wandbildes korrespondieren. Ein Paravent grenzt einen Raum ab, bildet eine Art kleineres Kabinett, das sich in diesem Fall zwischen den Teilen und an den Seiten dem Raum öffnet. Er dient normalerweise als Sichtschutz, allerdings steht hier das transparente rötliche Kunststoffnetz im Widerspruch zur eigentlichen Funktion. Schmunzelnd verrät mir Cordula Prieser, wie sie auf die Form gekommen ist. Der Paravent wurde von ihr aus dem Ornament der strengen Jugendstildecke des Bellevue-Saals entwickelt. Ihr war aufgefallen, dass im dritten Deckenfeld anstelle der Rundformen Ovale zu finden sind. Die flachen Ornamentbänder wurden von ihr zu drei großen Flächenformen hochgezogen, deren vom Deckenornament abgeleitete Biegung den Flächen die nötige Spannung gibt.
Den größten Platz nimmt die aus geleimtem Schichtholz aufgebaute zweiteilige Plastik in der Mitte des Bellevue-Saals ein. Auch hier ist die Ausgangsform eine in der Stadt eher unsichtbare. Es handelt sich um die spiralförmig angelegten Auf- und Abfahrten des Parkhauses in der Luisenstraße, die eingezwängt zwischen andere Bauten gar nicht leicht zu finden sind. Zudem nehmen wir als Autofahrer diese Rampen nie als Architektur unter ästhetischem Blickwinkel wahr, eher nur in ihrer Funktion als befahrbare Rampen, die allerdings hier – der Erbauungszeit entsprechend – sehr eng ausfallen, sodass das Augenmerk des Autofahrers mehr darauf gerichtet ist, nicht die Wände zu touchieren. Cordula Prieser greift zwar die Grundform auf, auch den Winkel der Rampen, ansonsten entwickelt sie daraus etwas ganz Anderes. Schon der getreppte Aufbau verfremdet die Schräge der Rampe. Hinzu kommt, dass beide Teile spiegelbildlich gebaut sind. Zusätzlich schaffen die sich spiegelbildlich in beiden Teilen wiederholenden dynamischen Formen eine intensive Verbindung zwischen beiden, sodass sie nicht als Einzelformen, sondern als zusammengehöriges Paar gesehen werden. Die vielen Durchblicke verstärken das noch. Der Architekturbezug ist offenkundig. Die in mehreren Ebenen übereinander geschichteten gleichen Bauelemente wirken wie gestapelte Wohn- oder Büroetagen mit offenem Grundriss. Zur Spitze hin greifen sie weit in den Raum. Bilder tauchen auf. Mehrstöckige Wohnblocks, die bei einem Erdbeben einfach eingeknickt sind und deren Etagen nun schräg und damit nutzlos nach oben ragen. Im Bellevue-Saal laden die beiden Teile zum Umschreiten ein, um die vielfältigen Bezüge zwischen ihren Formen zu entdecken.
Gemeinsam ist allen Arbeiten der ausgeprägte Bezug zur Stadtarchitektur – in diesem Fall Wiesbadens, eben SPACE AND THE CITY. Eher Unscheinbares wird unter anderer Perspektive gesehen und kann den Betrachter neugierig auf die realen Orte machen. Das von Cordula Prieser entdeckte Bauteil wird transformiert in eine neue Form, deren künstlerische Ausprägung und deren Material kaum noch auf die ursprüngliche Situation verweisen. Was eigentlich massiges Bauteil ist, wird verwandelt in eine durch ihre Offenheit leicht wirkende ästhetische Form.